Ist Maria Stuart Schillers Antwort auf Liberté, Égalité und Fraternité?

4. Mai 2025

Dieser Blog handelt von Machtverhältnissen in Schillers Maria Stuart und stellt eine These über die Verbindung vom Text zur Französischen Revolution auf.

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Friedrich Schillers Maria Stuart handelt von Machtgewinn, Machtlegitimation und Machtverfall. Jeder Charakter versucht, auf seine Weise mehr Macht zu gewinnen – sei es Graf von Leicester oder Mortimer, die beide Maria heiraten wollen, um als Ehemänner einer Königin grösseren politischen Einfluss zu erlangen.

Doch im Zentrum des Stückes steht der Konflikt um die Machtlegitimation: die Frage nach der wahren Königin von England.

Ist es Maria, die nach dynastischer Regel die rechtmässige Nachfolgerin von König Heinrich wäre? Oder ist es Elisabeth, die die Unterstützung des Volkes hinter sich hat?

Gerade weil es zwei sich konkurrierende Legitimationen sind, erweisen sich beide als instabil und fragil. Elisabeth ist so sehr von der Meinung des Volkes abhängig, dass nicht sie selbst als Königin, sondern nur sie im Amt der Königin anerkannt wird – und in diesem Amt muss sie stets neu nach dem Willen des Volkes regieren. Sobald sie eigene Machtansprüche durchsetzen will, riskiert sie, ihre gesamte Legitimation zu verlieren. Auch Marias Legitimation steht auf wackeligem Boden: Zwar ist ihr Anspruch rechtlich klar, doch ohne praktische Unterstützung bleibt er wirkungslos.

Dieser Konflikt wird auch durch Marias Hinrichtung nicht aufgelöst. Im Gegenteil: Elisabeths Macht bleibt trotz Marias Tod brüchig. Eine zentrale Eigenschaft des Volkes ist seine Irrationalität und Unberechenbarkeit: Was fürs Volk gestern wichtig war, kann heute schon keine Bedeutung mehr haben. So kann das Volk nach der Hinrichtung – auch wenn es sich die Hinrichtung wünschte – den Tod Marias als tyrannische Tat sehen und nicht mehr hinter Elisabeth stehen. Genau wegen dieser Eigenschaft bleibt auch Elisabeths Thron nach der Hinrichtung so instabil wie schon lange nicht mehr.

Die Zeit der Umbrüche

Doch Schiller präsentiert uns in seiner Tragödie nicht nur ein persönliches Drama um Macht, sondern ein Sinnbild für die Zeit der politischen Umbrüche. Das Stück zeigt, wie das Volk – verkörpert durch Elisabeth – mehr Macht erlangt und die dynastische Form der Monarchie – verkörpert durch Maria – an Macht verliert. Schon als junger Schriftsteller forderte Schiller solche politischen Umbrüche. Er war nämlich Teil der literarischen Strömung Sturm und Drang, welche radikale gesellschaftliche Umwälzungen forderte. Die Französische Revolution ist die bedeutendste Folge solcher Ideen. Und deswegen lässt sich vermuten, dass Schiller mit Maria Stuart auf die Französische Revolution zurückblickt und sie bewertet.

Um diese These zu analysieren, müssen wir zuerst nochmal klären, was die Französische Revolution eigentlich gewesen ist. 1788 regiert Ludwig XVI. Frankreich absolutistisch und verliert durch hohe Schulden und wirtschaftliche Krisen aber immer mehr Macht und Zuspruch im Volk. Die Ideen der Aufklärung regen das französische Volk immer mehr zum Nachdenken an und wecken ein wachsendes Bedürfnis nach Selbstbestimmung, welche unter der absolutistischen Monarchie nicht gegeben war. So kommt es, dass 1789 die Generalstände einberufen werden und aus diesen die Nationalversammlung entsteht. Diese sieht sich als Vertreterin des Volkes und fordert eine Verfassung. Der Sturm auf die Bastille wird zum symbolischen Beginn der Revolution. In den folgenden Jahren entmachtet man die Monarchie immer mehr. Man richtet Ludwig XVI. hin und ruft die Republik aus. Die Zeit prägt Frankreich und Ideen wie Volkssouveränität und Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit setzen sich durch, aber Frankreich bleibt instabil. So kommt es, dass 1799 Napoleon die Macht übernimmt und der Traum der Revolution dahin ist.

Maria Stuart und die Französische Revolution

Vergleicht man die Revolution nun mit Maria Stuart, sieht man, wie Schiller die Revolution in seinem Werk verarbeitete. Maria, die auf der traditionellen, autoritären Monarchie und katholischen Kirche beruht, geht zu Ende. Eine neue Ordnung unter Elisabeth entsteht, in welcher die Macht der Monarchen nicht durch Furcht, sondern durch Liebe des Volks garantiert wird. Doch diese neue Ordnung ist nicht stabil, wenn auch am Ende das Volk an Macht gewinnt, ist die gesamte Situation so instabil, dass wie im Fall der Französischen Revolution Napoleon nur nach 10 Jahren wieder als alleinige Herrscher wirkt. Im Fall von Maria Stuart wissen wir nicht, wie die Geschichte in Schillers Version ausgehen würde. Doch durch seine Darstellung des Volkes wird deutlich, dass Elisabeths Machterhalt nicht selbstverständlich sein wird und eine Zeit der politischen Instabilität auf Elisabeth zukommen wird. Auch die Hinrichtung Marias zeigt uns die Gewalt der neuen Ordnung, welche sich in der Französischen Revolution wieder finden lässt. Zwischen 1789 und 1799 kam es immer wieder zu Machtkämpfen und blutigen Auseinandersetzungen, viele Bürger forderten Selbstbestimmung, doch gleichzeitig wurden politische Gegner oft brutal unterdrückt.  Diese Ambivalenz zwischen Freiheitsstreben und Gewalt förderte die Instabilität in Frankreich und ermöglichte Napoleons Aufstieg zur Macht.

Schiller und die Französische Revolution

Da sich Parallelen zwischen Maria Stuart und der Französischen Revolution feststellen lassen, könnte es schon sein, dass Schiller in Maria Stuart auf seine jungen Jahre zurückblickt und erkennt, dass seine Forderungen aus der Zeit des Sturmes und Dranges nicht so leicht umsetzbar sind, wie er vielleicht erwartet hat. Denn, obschon er anfangs Freude an der neuen französischen Regierung gehabt hat und sogar die Ehrenbürgerschaft erhielt, beginnt er seine Meinung zu ändern, als die jakobinische Schreckensherrschaft begann. Als dann unter dem jakobinischen Terror Ludwig XVI. hingerichtet wurde, war dies für Schiller der endgültige Wendepunkt, bezüglich seiner Haltung zu Frankreich nach der Revolution. Er erkannte, dass Probleme nicht mehr „durch das blinde Recht des Stärkeren“ gelöst werden sollten, sondern sie müssten vor dem „Richterstuhl reiner Vernunft“ verhandelt werden. Deswegen widmete er sich auch der ästhetischen Erziehung des Menschen, damit der Mensch auch in einer neuen Regierungsform vernünftig handeln würde .

Wenn wir nun annehmen, dass Schiller in Maria Stuart auch die Französische Revolution porträtieren wollte. Ergibt es auch Sinn, dass Elisabeth zwar politisch siegt, aber den inneren Konflikt verliert und Maria den wahren Triumph erlangt. Denn auch wenn die Herrschaftsform der Maria nicht jene ist, welche Schiller sich wünscht, ist es Elisabeth eben auch nicht. So lässt sich vermuten, dass Schiller mit Elisabeths Niederlage darstellen will, dass er seine früheren Forderungen nach politischen Umbrüchen zu früh gestellt hat und der Mensch zuerst ästhetisch erzogen werden müsste.

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Quellen