In diesem Blog-Artikel werde ich wichtige Eigenschaften der Romantik erklären, sowie eine Theorie zur musikalischen Struktur im Text «Der Sandmann» untersuchen. Da wir im Unterricht den Sandmann von E.T.A. Hoffmann gelesen und diesen im Kontext auf die Romantik analysiert haben, erkläre ich die Themen anhand dieses Textes.
Die Romantik ist eine literarische Epoche, die sich etwa von Ende des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts erstreckte. Wichtig ist zu wissen, dass die Romantik eine Gegenbewegung zur Aufklärung und der politischen Lage um 1800 war. So stellt sich Hoffmann im Text klar gegen die Aufklärung, indem er die damalige Wissenschaftsgläubigkeit ironisiert und kritisiert. Hoffmann wendet sich auch gegen das Profitstreben der Wissenschaftler, indem er am Beispiel des Perspektivs zeigt, wie neue Techniken die Wahrnehmung manipulieren können. Damit verdeutlicht er, welche Gefahren entstehen, wenn Erfindungen nur aus wirtschaftlichem Interesse entwickelt werden. So stellt Hoffmann die Frage, welche Verantwortung die Wissenschaft tragen sollte.
Typisch für die Romantik war zudem, dass sie sich der künstlerischen und irrationalen Seite der Menschen widmete und sich gegen die einseitige Rationalisierung der Welt stellte, die durch die wachsende Wissenschaft immer stärker vorangetrieben wurde. Dieser Konflikt zwischen Irrationalität und Rationalität wird häufig durch den Dualismus dargestellt. Darunter ist das Zusammenspiel zwischen zwei Seiten, meist Rationalität und Irrationalität, Licht und Schatten, Verstand und Gefühl, gemeint. Das Ziel der Autoren der Romantik war das Aufzeigen der irrationalen, dunklen, geheimnisvollen Seite der Menschen. Der Dualismus zwischen Rationalität und Irrationalität zeigt sich im Sandmann, besonders stark an den Figuren Clara und Olympia. Clara steht für Vernunft und Klarheit, während Olympia für das Geheimnisvolle und die Täuschung steht. So ist Olympia zwar sehr attraktiv, jedoch wenig intelligent, während Clara, die kluge, von Nathanael als zu rational und somit unlebendig wahrgenommen wird. Dass sich Nathanael immer mehr in Olympia verliebt, zeigt die Wendung hin zum Irrationalen. Denn obschon Nathanael Clara als zukünftige Frau hätte – eine Frau, die ihn liebt und versteht –, ignoriert er immer mehr die Realität und lässt sich von der geheimnisvollen Olympia täuschen.
Nachdem ich nun grundlegende Themen der Romantik erklärt habe, möchte ich auf einen Aspekt des Sandmanns eingehen, der vor allem mit der Struktur des Textes zu tun hat. Es geht um den Aspekt, dass Hoffmann den Text ähnlich einer musikalischen Struktur strukturierte. Auf diesen Zusammenhang brach mich die Aussage von Friedhelm Auhuber.
«Die eigentliche Dynamik des Sandmanns rührt zweifellos von den ständig wechselnden Perspektiven und dem Tempo mit der die Handlung vorangetrieben wird. Eine zusätzliche Dynamik und ihre geradezu dramatische Musikalität erhält die Erzählung dadurch, dass sie wie eine späte Sonate Beethovens komponiert ist» (Friedhelm Auhuber, 1998)
Die Aussage, dass E.T.A. Hoffmann den Text musikalisch strukturierte, finde ich spannend, weil Hoffmann selber Musik komponierte und sogar selbst - auch wenn nicht so erfolgreich - als Kapellmeister tätig war. Nebst dem passt die Verknüpfung von Musik und Literatur perfekt zu der Romantik, welche sich ja der künstlerischen Seite des Menschen widmet. Hoffmann selbst schrieb in einer Rezension zu Beethovens fünfter Symphonie:
"Tief im Gemüthe trägt Beethoven die Romantik der Musik, die er mit hoher Genialität und Besonnenheit in seinen Werken ausspricht. Lebhafter hat Rec. dies nie gefühlt, als bey der vorliegenden Symphonie, die in einem bis zum Ende fortsteigenden Climax jene Romantik Beethovens mehr, als irgend ein anderes seiner Werke entfaltet, und den Zuhörer unwiderstehlich fortreisst in das wundervolle Geisterreich des Unendlichen.» (E.T.A. Hoffmann, 1810)
Dass ein Zusammenhang zwischen der Musik Beethovens und der literarischen Romantik besteht, ist sich Hoffmann also selbst sicher. Ob der Text Hoffmanns aber auch einem Werk Beethovens gleicht, wissen wir noch nicht. Um also dem Vergleich mit einer Sonate Beethovens nachzugehen, habe ich die Sonate in c-Moll Opus 111 gewählt, welche 1822 komponiert wurde und Beethovens letzte Sonate ist. Unser Vergleich fängt mit dem ersten Satz an, dem Briefaustausch. Der erste Satz ist in Exposition, Durchführung, Reprise und Coda unterteilt. In der Exposition wird das Grundthema eingeführt, so schildert Nathanael Lothar seine momentane Lage. In der Durchführung steigt die emotionale Spannung, die Briefe offenbaren zunehmend Nathanaels Wahnsinn. In der Reprise und Coda kehrt die anfängliche Struktur zurück, Nathanael schreibt wieder klarer über seine Zukunftspläne. Mit dem Ende des Briefaustauschs beginnt der zweite Satz. Das Arietta, das Hauptthema, wird gespielt, Hoffmann zeigt uns immer stärker Nathanaels Fall in den Wahnsinn. Beethoven setzt im zweiten Satz fünf Variationen ein, welche die emotionale Tiefe immer weiter verstärken. Auch Hoffmann steigert die emotionale Intensität von Nathanaels Erleben zunehmend. Die vierte Variation bringt uns zum Spannungshöhepunkt, wir befinden uns auf dem Turm mit Clara und Nathanael. Der Fall Nathanaels führt uns in die 5. Variation, die Spannung baut sich ab, Nathanael stirbt und wir sehen Claras Leben nach dem Tod Nathanaels.
Alles in allem lässt sich der Text gut mit der Sonate in Beziehung setzen. Dennoch denke ich nicht, dass E.T.A. Hoffmann sich bewusst von Werken Beethovens inspirieren liess - diese Sonate wurde auch erst sechs Jahre nach dem Buch komponiert. Es lässt sich jedoch vermuten, dass E.T.A. Hoffmann als Musiker über ein sehr hohes Verständnis von musikalischen Strukturen, welches sicher auch von Beethoven geprägt wurde, verfügte und sich davon inspirieren liess. Dieses Verständnis verhalf ihm sicher auch, die spezielle Dynamik der Geschichte zu kreieren, welche, wie Auhuber sagte, durch die ständigen Perspektiven- und Tempowechsel getrieben wird und die Emotionalität aufweist, die an Beethovens Werke erinnert.